TOBIAS IZSÓ
THE ACCOUNTANT
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18.10.2025 - 10.01.2026
Eröffnung 17.10.2025 19:00h
Kuratorin: Eva Slabá
Künstlergespräch mit Tobias Izsó und Eva Slabá 18.10.2025, 11:00h
Öffnungszeiten: Do & Fr 16-20 Uhr, Sa 12–16 Uhr und nach Vereinbarung
Filmvorführung 07.11.2025 22:00h „Queer as Punk“, Regie: Yihwen Chen, Doku, Malaysia, Indonesien 2025, 88 min, anschließend Filmgespräch im Thalia Kino Dresden. In Kooperation mit MOVE IT! Filmfestival für Menschenrechte.


In seiner Installation für den Kunstverein Dresden entwirft Tobias Izsó (1997, Wien) ein skulpturales Ensemble, das zwischen materiellen Widersprüchen und gesellschaftlichen Konstruktionen oszilliert. Assemblagen und Objekte erscheinen im Ausstellungsraum, als wären sie einem Notizbuch entglitten – rätselhafte Bestandteile eines persönlichen Inventars, teils zutiefst privat, teils repräsentativ. Sie ergänzen einander, widersprechen sich, spiegeln oder verspotten einander – und bilden dabei stets ein visuelles, narratives und kontextuelles Beziehungsgeflecht, das vom Betrachter erst noch erschlossen werden muss. In Izsós Praxis verwandelt sich das Vertraute und Alltägliche auf paradoxe Weise in etwas Fremdes und Unheimliches. Mit ihrer stummen Präsenz scheinen die Skulpturen wie Zeugen die Atmosphäre von Herman Melvilles Erzählung Bartleby, der Schreiber (1853) zu verkörpern. Es ist ein Raumgefühl, in dem man die Gegenwart eines anderen spürt, ohne mit ihm in direkten Kontakt zu treten. Es ist, als wäre Bartleby hinter jeder Ecke des Büros zu erahnen. Der Erzähler bringt dieses ambivalente Szenario in Worte: „Niemals fühle ich mich so privat wie in dem Moment, in dem ich weiß, dass du hier bist.“
In Izsós Praxis steht das Motiv der Verbindung im Zentrum – sei es in formaler oder metaphorischer Hinsicht. Er lotet die Spannungen zwischen Weichheit und Härte, Körper und Hülle sowie zwischen öffentlicher Routine und häuslichem Ritual aus. Ob hölzerne Hemdsärmel, durchhängende Gürtel-Furniere, ein leerer Aktenkoffer oder eine überlebensgroße, benutzte Socke – all diese Objekte unterlaufen die mit ihrem Material verbundenen Erwartungen sowie die gesellschaftlichen Zuschreibungen, die mit ihnen verbunden sind. Holz krümmt sich zu absurden Reißverschlüssen, Textilien verhärten zu hölzernen Hüllen und Funktionalität löst sich in poetischer Niederlage auf. Das Alltägliche kippt ins Unheimliche und evoziert Stillstand, Passivität oder gar Lähmung. Dies ist mit Bartlebys berühmtem Satz „I would prefer not to” im Herzen der Bürokratie vergleichbar. Diese Weigerung führt dazu, dass die sorgsam gezogenen Grenzen zwischen Privatem und Öffentlichem kollabieren. Was auf den ersten Blick repräsentativ, glatt und korrekt erscheint, wirkt auf den zweiten Blick – oder im Hinterzimmer – unsicher, zögerlich und brüchig.
Der „Accountant“ tritt hier weniger als Berufsfigur, sondern vielmehr als Gestalt der Entfremdung und moralischen Ambivalenz in Erscheinung. Holzhemden, die sich mit Dokumenten zu Kaminen oder einer „sitzenden Kolonne von Schreibern“ auftürmen, deuten eine fragile Architektur der Disziplin an, die hält, bis sie zusammenbricht. Ein leerer Aktenkoffer wird zum Symbol des Fehlens, zu einem verlorenen Bindeglied der Zugehörigkeit oder zum Echo von Vermeers Perlenohrgehänge. Was gilt als kostbar und nützlich – und für wen? Reißverschlüsse markieren Momente der Verletzlichkeit, Orte, an denen Nähe und Intimität ins Stocken geraten. Maßstab und Dimension spielen in Izsós Praxis eine entscheidende Rolle. Die Objekte pendeln zwischen Monumentalität und Banalität, Starre und Schlaffheit. Hierarchien kollabieren, sei es im Material oder in der Bedeutung. Mitunter verspotten sie ihre eigenen anthropomorphen Anmutungen, als wären die Dinge selbst mit menschlichen Zügen, Sehnsüchten oder ihrem Scheitern beladen.
Izsós langjährige Auseinandersetzung mit Innenräumen – ob Büro oder Café – und den tradierten Ritualen des Alltags ist den ausgestellten Arbeiten tief eingeschrieben und wird zugleich bewusst unterlaufen. Elemente vergangener Epochen erscheinen als fotografische Illusionen oder als Fragmente, die in die Gegenwart übertragen sind. Ihre Oberflächen tragen gleichermaßen historischen Trost wie zeitgenössische Dissonanz, wenn sie bürgerliche Gepflogenheiten freilegen – etwa das Zeitungslesen im Café mit Halter oder die sorgfältige Selbstinszenierung, angedeutet durch das abgelegte Toupet. Geldwäsche erzeugt, ähnlich wie das Verbergen schmutziger Wäsche, Situationen, die an die Struktur fragiler Furniere erinnern. Diese sind lediglich in ihrer mimetischen Oberfläche anpassungsfähig.
Was dabei entsteht, ist keine Auflösung, sondern Reibung: ein Widerstand, eine Polarität, in der Vertrautes destabilisiert wird, Abwesenheit Präsenz beansprucht und Ordnung als notwendig wie absurd zugleich erfahrbar wird. Izsós skulpturale Sprache glättet und erklärt nicht, sondern insistiert auf dem Wechselspiel von sozialen Codes, kulturellem Gedächtnis und den stillen, unheimlichen Mechanismen von Identität und Zugehörigkeit. Die Skelette seiner Werke fungieren dabei als Parabel, als Schauplatz einer Erzählung über jene ambivalenten Räume, die wir kollektiv bewohnen und in denen wir unsere Persönlichkeiten konstruieren. (Eva Slabá)
Die Ausstellung wird gefördert vom Bundesminisetrium Wohnen, Kunst, Kultur, Medien und Sport, Amt für Kultur und Denkmalschutz der Landeshauptstadt Dresden, der Stiftung Kunst und Musik für Dresden und von Bildrecht, und unterstützt von der Osterbergstiftung.




Wir danken für die Leihgaben:
Privatsammlung, Baden (Österreich)
Sammlung Liesenfeld/Jordan Collection (Österreich)
Privatsammlung, Wien (Österreich)