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LOUISA CLEMENT: INSIDE

25.02. − 10.05.2023

Öffnungszeiten: Do/Fr 16–20 Uhr, Sa 12–16 Uhr

kuratiert von Michael Stockhausen

Die Auflösung der Welt in Daten macht nicht nur die Dinge in der Welt skalierbar. Man forscht etwa daran, größtmögliche Speicherdichte auf kleinstem Raum zu konzentrieren, um Daten möglichst dauerhaft abrufbar und modellierbar zu halten. Als ließe sich Platons Ideenhimmel per Klick gestalten und mittels Knopfdrucks in die Welt ausspucken. Größte Speicherdichte auf kleinstem Raum wohnt auch in uns. Unmengen an Erbinformationen, die in der sogenannten DNA gespeichert sind. Und sie ist lange haltbar: Die Humangenetik nutzt diese Informationen beispielsweise, um menschliche Verwandtschaftsbeziehungen Jahrtausende zurück zu rekonstruieren. An der Skalierung von Erbinformationen und der ‚Genom-Editierung‘ wird intensiv gearbeitet.

 

compression, 2023
Louisa Clement bringt in ihrer jüngsten Arbeit beides zusammen: Digitale und körperliche Speichermethoden. Die Künstlerin hat die digitalen Daten ihres gesamten bisher entstandenen Werks in DNA-Stränge einspeisen lassen. Das Ergebnis bewahrt eine kleine, wenige Zentimeter große, silberne Kapsel. Die in der Hülle luftdicht verschlossenen Daten lassen sich mittels spezifischer Entwicklungsverfahren wieder auslesen und in die gewohnten Datenprozesse einspeisen. In Knochen wären sie sicher verschlossen und könnten noch in mehreren Tausend Jahren extrahiert werden. Die neueste, von Start-ups in Europa und den USA entwickelte Speichermethode verspricht die langlebigste und zugleich komprimierteste Aufbewahrungsform von Daten zu sein. Bisher ist sie jedoch noch zu kostspielig, um im Alltag Anwendung zu finden: bisher.

 

Wie eine Reliquie erscheint der biologische Wunder-USB-Stick unter der Glashaube, die Summe eines künstlerischen Werks, für mehrere tausend Jahre konserviert. Was da thront, ist nichts Geringeres als das Versprechen auf ewiges Fortleben. Ein Versprechen, das die Kunst seit Jahrtausenden verbreitet. Spätestens seit der Fotografie hat sich die Erinnerungskultur geweitet und inzwischen sorgt jedes Handy für ein Überleben in ungeheuren Datenmengen. Werden wir in unseren Daten fortbestehen und digitale Fußabdrücke dauerhaft im Erdboden verankern können? Was wäre Ihre persönliche Daten-Summe, die Sie in eine solche kleine Kapsel bannen würden: Das Zeugnis Ihres Ich und eine Art Seelenessenz für das Diesseits?

Louisa Clement, compression, 2023
Louisa Clement, compression, 2023
Louisa Clement, compression, 2023

mould, 2019/20 

Menschheitsgeschichte, Kultur und Politik waren nie außerhalb der Technik zu denken. Alle Erfindungen, die kleinen wie großen, haben das in der Welt sein des Menschen, die Weisen zu fühlen, sich zu bewegen und einander zu begegnen, verändert. Was passiert INSIDE? Der Impuls zu skalieren, sitzt inzwischen in unseren Fingerkuppen. Man berührt einen Screen, schiebt Zeigefinger und Daumen auseinander und ist enttäuscht, wenn sich das hinterleuchtete Bild nicht vergrößert. Ebenso stellt sich Enttäuschung ein, wenn sich die digital modellierten und gefilterten Bildwelten nicht in der Realwelt wiederfinden. Im vielleicht zwischenmenschlichsten Bereich, dem Liebesleben, realisiert sich dieser Gap tagtäglich und bringt Sublimierungsformen wie Surrogat-Industrien hervor. Längst ist es im Alltag angekommen, über bildbasierte Internetplattformen Dates zu vereinbaren und sich von den modellierten Fotoinszenierungen und Selbstaussagen anziehen zu lassen. Sollten anschließende Treffen nicht halten, was die selbstoptimierten Avatare versprachen, braucht man nicht mit der Enttäuschung leben. Künstlich lässt sich das digitale Begehren realisieren. Am Boden liegen leere Hüllen, lebensgroße, hohle Bronzen: „Leerstellen der menschlichen Sehnsucht nach Körperlichkeit“ (Pepita Håkansson). Die Skulpturen beruhen auf den Abgußformen von Sexpuppenkörpern, die bei einer Londoner Spezialfirma angefertigt werden und zu den gefragtesten Modellen zählen: Stählerner Mann, schlanke Frau und ein zu jugendliches Maß. Die Erfüllungssuche im Künstlichen markiert die Horizontale der Ausstellung und ergänzt die Vertikale der DNA-Kapsel. In den Negativformen der moulds, 2019/20 wird fühlbar, was sich INSIDE der neuen skalierbaren Welten ereignet: Kopflos und entseelt liegt da die Hülle des Menschen; nahezu beiläufig, als könne „der Mensch verschwinde[n] wie am Meeresufer ein Gesicht im Sand“ (M. Foucault).

Louisa Clement, mould, 2019/20
Louisa Clement, mould, 2019/20
Louisa Clement,  mould, 2019/20

human error, 2021
Die archäologische Ruhe der Ausstellung im Kunstverein Dresden wird von der Videoarbeit human error, 2021, durchbrochen. In unregelmäßigen Abständen beamt sie auf, Köpfe rollen über die Bildflächen, schlagen gegeneinander, liegen wie Maikäfer auf dem Rücken und blinken mit den Augen. Hilflos flehend und nervtötend erschallt der Satz: „I can’t connect to internet“. Panik klingt mit und schürt Gefühle der Überforderung und den Wunsch nach Abschalten. Zwischen Boris Beckers naivem „Bin ich schon drin?“ – eine Werbung für den kinderleichten Internetzugang im Rahmen eines AOL-Spots 1999 – und der Angst heute, nicht verbunden zu sein, liegen zwei Dekaden, gefühlt aber Welten. Im ziel- wie kopflosen Double Bind zwischen den Projektionsflächen bieten weder die darniederliegenden Hüllen noch das datenbasierte Seelenfortleben Halt. Von mikroskopischen DNA-Zellen bis ins Überlebensgroße, von der leeren Hülle bis zum robotisierten und KI-erweiterten Kopf verteilen sich die Spuren des Menschlichen im Raum, Innen und Außen purzeln durcheinander. Die Auflösung des Menschen in Daten macht die Menschen in der Welt skalierbar – oder lediglich die Hüllen des Menschlichen?

Louisa Clement, human error, 2021
Louisa Clement,  human error, 2021
Louisa Clement, human error, 2021
Louisa Clement, human error, 2021

 

Ewigkeit ist ein zentrales Versprechen der Kunst. Man errichtete Kathedralen, malte, dichtete und philosophierte im Hoffen auf Unsterblichkeit. Die Künstlerin Louisa Clement setzt sich in ihrer neusten Ausstellung mit den menschheitsbestimmenden Polen Eros und Thanatos auseinander und entwickelt für den Kunstverein Dresden eine neue skulpturale Arbeit. Wird der Mensch mittels jüngster biotechnologischer Forschung zur Trägerhülle der ihm implantierten Daten? Stehen wir an der Schwelle zum ‚Human Error‘ oder sind wir Transformationsgenerationen im Aufbruch zu etwas, das wir noch nicht überblicken können?

Der Kunstverein Dresden freut sich, mit INSIDE die erste Kunstvereinsausstellung von Louisa Clement anzukündigen. Die schon früh museal ausstellende Künstlerin besticht seit Jahren durch die ihr eigene, medienübergreifende Werkformulierung. Ihre Arbeiten befragen Qualitäten des Menschlichen im Digitalen und machen die Herausforderungen des technologischen wie biokapitalistischen Wandels fühlbar. Dabei besitzen Clements hochaffizierende Werke eine beunruhigende INSIDE-Qualität: Behandeln sie einerseits komplexe Wissenschaftsfragen der Gegenwart, sinken sie anderseits tief in Augen und Poren; Echolote, die unter die glatten Oberflächen dringen und beunruhigende Resonanzen auszulösen verstehen.

 

Louisa Clement (geb. 1987 in Bonn, Deutschland) hat in verschiedenen Institutionen und Museen ausgestellt, darunter etwa: Museum Frieder Burda (2022); Casino Luxembourg – Forum d'art contemporain (2022); ZAZ 10, Times Square, New York City (2019); Triennale für Fotografie und Neue Medien im Henie Onstad Kunstsenter in Norwegen (2020); Ludwig Forum, Aachen (2019); Sprengel Museum, Hannover (2019); Digitale Kunsthalle des ZDF (2019); Kunst Raum Riehen, Riehen, Schweiz (2018); Museum für Photographie in Braunschweig (2018). 2015 schloss Clement ihr Studium an der Kunstakademie Düsseldorf als Meisterschülerin von Andreas Gursky ab.

Gefördert durch die Kulturstiftung des Freistaates Sachsen, die Landeshauptstadt Dresden, Amt für Kultur und Denkmalschutz, die Stiftung Kunst und Musik für Dresden sowie die Galerie EIGEN+ART Leipzig/Berlin. 
Diese Maßnahme wird mitfinanziert durch Steuermittel auf der Grundlage des vom Sächsischen Landtag beschlossenen Haushaltes.

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