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AHMET ÖGÜT

BAKUNINS BARRIKADE

20.10.2018 — 20.1.2019

Michail Bakunins Dresdner Gedankenspiel von der Kunst als Schutzschild demokratischer Kräfte, überliefert vom Maiaufstand 1849, manifestiert sich erstmals an seinem sächsischen Ursprungsort. Damit nicht genug, ist Ögüts „Bakunins Barrikade“ nicht in einer musealen Institution zu Gast, sondern wird von dem kulturellen Engagement des neu gegründeten Kunstvereins Dresden getragen und aus den persönlichen Sammlungen von dessen Mitgliedern bestückt. Die bürgerschaftliche Verantwortung, Demokratie lebendig zu vermitteln, letztlich auch unter dem Einsatz persönlichen Besitzes, bildet das Eröffnungsstatement des Kunstvereins. Die Dresdner Edition des Kunstwerks von Ahmet Ögüt ist kollektive Tatsache und Symbol zugleich.

Kuratorin: Susanne Altmann


RÜCKBLENDE FRÜHJAHR 1849

In der wenige Monate zuvor gegründeten „Dresdner Zeitung“ erscheint eine Reihe von aufrührerischen Artikeln, die das revolutionäre Klima in Sachsen anheizen. Das Druckerzeugnis gilt bei der Polizei wegen seines „aufreizenden Inhalts“ als eines der gefährlichsten deutschen Medien seiner Zeit. In der Tat stellte die „Dresdner Zeitung“ das Zentralorgan des „extremen linken Flügels der nichtproletarischen demokratischen Bewegung Sachsens“ (A. Nikolajevskij) dar und darf auch im damaligen Gesamtdeutschland als eines der mutigsten Presseorgane bezeichnet werden. Der Autor der kämpferischen Beiträge bleibt damals noch anonym – trotzdem ist sein Name, mit denen seiner berühmten Mitverschwörer Gottfried Semper oder Richard Wagner, für immer mit den (bald niedergeschlagenen) Unruhen und Barrikadenkämpfen in Dresden verknüpft. Es handelt sich um Michail Bakunin (1814-1876), den die Literatur gerne als Anarchist bezeichnet. Schon Friedrich Engels lobte den Berufsrevolutionär für seine Radikalität als "einen fähigen, kaltblütigen Führer“. Aus dessen Dresdner Zeit stammt auch eine immer wieder kolportierte Anekdote, der gemäß Bakunin vorschlug, die „Sixtinische Madonna“ auf einer Barrikade zu befestigen, um sich zu schützen. Denn sicher seien die preußischen Truppen viel zu kultiviert, um darauf zu schießen. Schriftlich findet sich kein Beleg dafür, aber allein die Idee fasziniert als konsequentes Denkmodell (keineswegs als anarchistische Handlungsanweisung) noch heute. Zumal sich damals gerade Künstler und Intellektuelle des Standorts Dresden als Träger der republikanischen Idee verstanden und den Mai-Aufruhr entlang ihrer geistigen und moralischen Standards planten; so etwa Semper, der sich um Konstruktionsanleitungen für Barrikaden verdient machte.
 

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Foto: Ahmet Ögüt

STATUS 2014 – 2017

Angeregt von den Vorgängen seit dem Arabischen Frühling, den Blockaden der Occupy-Bewegung und anderen aktivistischen Kampagnen, interessieren sich zeitgenössisch reflektierende Künstler*innen zunehmend für ihre Rolle innerhalb gesellschaftlicher Umbrüche. Der kurdischstämmige Künstler Ahmet Ögüt, mittlerweile in Berlin und Amsterdam lebend, interessiert sich für soziale Dynamiken, für die Optik von struktureller Gewalt wie auch von Auflehnung. Kein Wunder also, dass er den, Bakunin zugesprochenen, Vorschlag von einer Fortifikation via Kunstwerk als Experiment aufgriff. Bereits in mehreren Städten, zuerst im Eindhovener Van Abbemuseum, dann im Museum Ludwig Köln und kürzlich in Kopenhagen realisierte Ögüt eine Barrikade aus Autowracks, Reifen, Absperrgittern und Baumaterial, die sehr wohl innerhalb eines gegenwärtigen Straßenkampfes funktionieren würde. Der Nervenkitzel für den Betrachter entsteht aber erst in der Ausstattung der Barrikade mit wertvollen Gemälden aus der jeweiligen Sammlung – in Eindhoven schmückte sogar eine Dresdner Elbansicht von Oskar Kokoschka die anarchistische Sperre. Die Frage, ob sich vermittels Kunst demokratische Werte verteidigen lassen, so wie dies die Dresdner Revolutionäre heraufbeschworen,  zeichnet sich sozusagen in Großbuchstaben unsichtbar über der Barrikade ab. Was genau gilt es zu bewahren und zu erkämpfen, welche Hierarchien und Imperative gebieten die Auseinandersetzungen der Gegenwart? Ahmet Ögüt besteht als Teil seiner künstlerischen Strategie auf einem Vertrag mit der letztlich erwerbenden Institution, in dem sich diese verpflichtet, „Bakunin’s Barricade“ in a l l e n Elementen im Falle von sozialen Unruhen potenziellen Revolutionären zur Verfügung zu stellen.

UPDATE 2018

Knapp einhundertsiebzig Jahre nachdem die Dresdner Mairevolution von sächsischen und preußischen Regierungstruppen niedergeschlagen, Bakunin in Chemnitz verhaftet (von da an den Rest seines Lebens auf der Flucht verbringend) und eine demokratische, republikanische Staatsform wieder für lange Zeit in das Reich der Utopie verbannt wurde, lohnt es sich, „Bakunins Barrikade“ nicht nur am Ort ihrer Idee aufzustellen, sondern auch über die Rolle von Kunst und Künstler in der täglichen Auseinandersetzung um demokratische Grundrechte und zivilen Ungehorsam direkt am Objekt nachzudenken. Insofern ist es auch nur konsequent, dass das Bollwerk nicht mit Werken einer staatlichen Institution bestückt wird, sondern aus den privaten Sammlungen engagierter Kunstliebhaber. Denn bürgerschaftliches Engagement gehört zu den wichtigsten Säulen einer Zivilgesellschaft, zusammen mit dem couragierten Bekenntnis gegen rechtskonservative Auffassungen von Kultur, gegen Fremdenfeindlichkeit und Denkfaulheit. Die Gründungsausstellung des neuen Kunstvereins Dresden setzt genau an dieser Debatte an, indem die Mitglieder ihre persönlichen „Schätze“ buchstäblich auf die Barrikaden gehen lassen. Sie symbolisieren ihren Willen, kulturelle Mitverantwortung in einer Stadt zu ergreifen, in der gerade öffentliche Kunst und zwar nicht nur Manaf Halbounis syrisches Busmonument, dumpfes Ressentiment auslöste. Im Januar 2019 erscheint eine Publikation, die öffentlich vorgestellt wird.

 

PUBLIKATION

Zur Ausstellung ist eine Begleitpublikation erschienen, für die der Kunstverein Dresden der Kuratorin Susanne Altmann dankt. Die Pubilikation ist hier online abrufbar; gedruckte Exemplare liegen im Kunstverein aus.

Gefördert durch die Kulturstiftung des Freistaates Sachsen, die Stiftung Kunst und Musik für Dresden und die Landeshauptstadt Dresden, Amt für Kultur und Denkmalschutz. Diese Maßnahme wird mitfinanziert durch Steuermittel auf der Grundlage des vom Sächsischen Landtag beschlossenen Haushaltes.

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